„Die Community ist für mich der Nährboden, bei allem, was ich mache“
Thomas Niederbühl, 48, Coming-out 1977. Er ist seit 1989 in der Rosa Liste aktiv und lebt im Schlachthofviertel.
Coming-out
Wann hattest du dein Coming-out?
Als ich 14 war, habe ich es meinem Beichtvater gesagt.
Wie hast du dich gefühlt, als du sicher warst: Ich bin schwul?
Zuallerst sehr unsicher: Bin ich es überhaupt, und wie gehe ich damit um? Denn ich war ein sehr bigottes Kind.
Wie haben deine Eltern reagiert?
Ich wollte Schluss machen mit dem Versteckspiel und nicht 17 werden, ohne es ihnen zu sagen. Am Tag vor meinem Geburtstag habe ich meine Eltern in Karlsruhe ins Kino in “Die Konsequenz” eingeladen. Anschließend langes Schweigen. Dann haben wir schließlich geredet. Meine Mutter war zunächst sehr emotionalisiert und besorgt. Für meinen Vater war es überhaupt kein Problem. Und für mich war es eine totale Befreiung.
Ich wollte Schluss machen mit dem Versteckspiel und nicht 17 werden, ohne es ihnen zu sagen. Am Tag vor meinem Geburtstag habe ich meine Eltern in Karlsruhe ins Kino in “Die Konsequenz” eingeladen. Anschließend langes Schweigen. Dann haben wir schließlich geredet. Meine Mutter war zunächst sehr emotionalisiert und besorgt. Für meinen Vater war es überhaupt kein Problem. Und für mich war es eine totale Befreiung.
Wusstest du damals von schwulen Männern in deiner Umgebung?
Nein. Ich dachte wie viele andere auch, dass ich der einzige auf der Welt bin. Als ich mir selber sicher war, wollte ich einen richtigen Schwulen kennenlernen. Das ging dann über eine Kontaktanzeige.
Nein. Ich dachte wie viele andere auch, dass ich der einzige auf der Welt bin. Als ich mir selber sicher war, wollte ich einen richtigen Schwulen kennenlernen. Das ging dann über eine Kontaktanzeige.
Was unterscheidet ein heutiges Coming-out von deinem?
Das heutige Umfeld macht es grundsätzlich leichter. Das Thema ist in der Gesellschaft präsenter. Eltern wissen mehr über das Schwulsein. Aber nach allem, was ich so höre, macht es heutzutage im persönlichen Prozess keinen Unterschied: Eltern können ganz liberal und tolerant sein, wenn es nicht den eigenen Sohn oder die eigene Tochter betrifft. Ich glaube, auf der persönlichen familiären Ebene ist es nicht wirklich einfacher geworden.
Was bedeutet für dich dein Schwulsein?
Das macht mich aus. Es ist ein existentieller Teil von mir, meinem Leben, meiner Perspektive auf die Welt und wie ich sie wahrnehme.
Das macht mich aus. Es ist ein existentieller Teil von mir, meinem Leben, meiner Perspektive auf die Welt und wie ich sie wahrnehme.
Wer sind deine schwulen Helden?
Harvey Milk. Schon als die erste Dokumentation und die erste Biografie in den achtziger Jahren rauskamen, war ich total davon fasziniert, dass man tatsächlich politisch etwas bewegen kann. Und zwar in der Stadt, in der man lebt.
Warum sind Vorbilder wichtig?
Ein Vorbild zeigt, dass man etwas bewegen kann und positive Veränderungen möglich sind. Auch, dass man mit Rückschlägen fertig wird und dass sich der Weg trotzdem lohnt.
Welches Erlebnis hast du im Zusammenhang mit Deinem Schwulsein als besonders schmerzhaft empfunden?
Dass die Kirche aufgrund meines Schwulseins mir die kirchliche Lehrerlaubnis, Misso genannt, entzogen und mir damit meine berufliche Perspektive als Deutsch- und Religionslehrer genommen hat.
Und welches als besonders schön?
Der schönste Teil meines schwulen Lebens ist Heinz. Wir sind jetzt seit 20 Jahren zusammen.
Community
Was bedeutet dir Community bzw. Szene?
Für mich war immer klar: Schwulsein kann ich nicht alleine. Ich brauche Leute, nicht nur für Sex. Für mich ist es ein Stück Heimat. Die Community ist für mich der Nährboden, bei allem, was ich mache.
Und wie hat sie sich verändert?
Durch das Aids-Geschehen beginnend in den achtziger Jahren ist die gegenseitige Abgrenzung von politischen Schwulen und Szeneschwulen weggefallen. Nicht die Krankheit wurde als die Bedrohung wahrgenommen, sondern die Politik. Das hat zur Solidarisierung und Politisierung geführt. Die Szene hat sich mittlerweile erfreulich stark ausdifferenziert. Für jedes Interesse gibt es einen Verein oder eine Gruppe. Die Kehrseite ist, in all den Detailinteressen immer das große Ganze zusammenzuhalten.
Warum ist eine solidarische, sichtbare und starke Szene für München wichtig?
Sie ist zunächst wichtig für jeden einzelnen, um einen Bezugspunkt zu haben. Wo man offen und selbstbestimmt schwul oder lesbisch seine eigenen Interessen leben kann. Gesellschaftspolitisch finde ich es wichtig für die Sichtbarkeit. Eine Szene, die vom Maibaum über Pink Christmas aktiv ist und sich auch politisch artikuliert. Auch die Politik hat erkannt, dass Schwule und Lesben eine ernstzunehmende Wählergruppierung sind.
Welchen Beitrag sollten Lesben, Schwule, Transgender dieser Stadt für die eigene Szene leisten?
Ich würde mir zunächst wünschen, dass jede/r einzelne ein Bewusstsein für diese Community hat, um zu sehen, dass das Szeneangebot nicht selbstverständlich ist. Der nächste Schritt wäre dann, sich zu fragen: Wie könnte ich die Szene im Rahmen meiner Möglichkeiten unterstützen, sei es durch eine stille Mitgliedschaft und Spenden? Oder könnte ich mich nicht gleich dort engagieren, wo ich gerne aktiv bin?
München
Ist München heute eine schwulen- und lesbenfreundliche Stadt?
So schwulen- und lesbenfreundlich war München noch nie wie heute. Was nicht heißen soll, dass nicht noch mehr Schwulen- und Lesbenfreundlichkeit möglich und nötig wäre.
So schwulen- und lesbenfreundlich war München noch nie wie heute. Was nicht heißen soll, dass nicht noch mehr Schwulen- und Lesbenfreundlichkeit möglich und nötig wäre.
Wo hört deiner Meinung nach die Toleranz der noch so liberalen heterosexuellen Münchner MitbürgerInnen dann doch oft auf?
Am deutlichsten wird es bei der Adoptionsfrage: Bei Kindern hört’s dann auf. Da kommen dann unbewusst alle möglichen Vorurteile zum Vorschein. Wo es um eine völlig gleiche Bewertung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensformen geht, stoßen viele an ihre Toleranzgrenze.
Am deutlichsten wird es bei der Adoptionsfrage: Bei Kindern hört’s dann auf. Da kommen dann unbewusst alle möglichen Vorurteile zum Vorschein. Wo es um eine völlig gleiche Bewertung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensformen geht, stoßen viele an ihre Toleranzgrenze.
Gibt es etwas, das du irgendwo in München tunlichst vermeiden würdest aus Angst vor homofeindlichen Reaktionen?
Es gibt in meinem Kopf keine Stadtkarte mit roten Gebieten. Es gibt aber Viertel in München, in denen ich mich anders verhalte. Im Gärtnerplatzviertel bin ich natürlich offener und gehe Hand in Hand mit meinem Mann, oder wir küssen uns. Vor einer Gruppe Jugendlicher habe ich immer Respekt und vor Betrunkenen sowieso.
Es gibt in meinem Kopf keine Stadtkarte mit roten Gebieten. Es gibt aber Viertel in München, in denen ich mich anders verhalte. Im Gärtnerplatzviertel bin ich natürlich offener und gehe Hand in Hand mit meinem Mann, oder wir küssen uns. Vor einer Gruppe Jugendlicher habe ich immer Respekt und vor Betrunkenen sowieso.
Rosa Liste
Warum engagierst du dich für Rosa Liste?
Aus der Erfahrung, dass man als einzelner Schwuler, als schwule Gruppe oder schwule Community immer wieder an Grenzen stößt: Grenzen von Nichtakzeptanz, Diskriminierung, rechtlicher Ungleichbehandlung im Zuge der ganzen Aids-Erfahrung der achtziger Jahre. Community kann etwas bewegen, wenn sie organisiert ist und gute Lobbyarbeit macht. 1989 waren wir soweit zu sagen: Wenn die Parteien nichts für uns tun, können wir es gleich selber machen.
Warum ist Rosa Liste für München wichtig?
Rosa Liste ist in ganz Europa ein einmaliges Projekt. Eine Szenevertretung sitzt im städtischen Parlament und regiert von Anfang an seit 1996 mit. In der Politik ist es sehr wichtig, ein Gesicht zu haben und sichtbar zu sein. Die Erfolge zeigen, dass es die richtige Strategie ist. Dann ist es natürlich auch wichtig, Unterstützer zu haben wie OB Ude und die Koalitionspartner SPD und Grüne im Rathaus. Letztlich profitiert nicht nur die Szene, sondern die ganze Stadt von der Vielfalt und den Veranstaltungen, die zum toleranten und weltoffenen Lebensgefühl beitragen.
Auf welche drei Erfolge bist du besonders stolz?
Erstens: der erstmalige Einzug ins Rathaus 1996, die Wiederwahl 2002 und 2008 sowie die Regierungsbeteiligung.
Zweitens: erst mit Rosa Liste kamen lesbische Projekte in den Blick. Die Unterstützung für LeTRa wurde über die Jahre ausgebaut.
Drittens: als symbolischen Erfolg finde ich den Karl Heinrich Ulrichs-Platz sehr wichtig.
Welche Vorhaben wollt ihr demnächst umsetzen?
Die Erinnerung an unsere eigene Geschichte wach halten und sichtbar machen. In München als ehemaliger Hauptstadt der Bewegung kommen bislang homosexuelle NS-Opfer nicht vor. Ein Denkmal soll dies künftig ändern. Schwule und Lesben müssen explizit in der Stadtgeschichte sichtbar sein, auch um den mühevollen Weg zu einer vergleichsweise junge Erfolgsgeschichte zu dokumentieren. Weitere wichtige Themen sind Leben im Alter, interkulturelle Kompetenz und Transgender.
Christopher Street Day
Dein erster CSD?
Das dürfte 1983/84 in München gewesen sein. Da waren etwa 200 bis 300 dabei. Ab 1985 habe ich dann organisierend und entscheidend mitgewirkt. Ich kann mich auch an eine CSD-Demo erinnern, die eine Radl-Demo war, weil es so nach mehr aussah. Es ging von der Münchner Freiheit zum Odeonsplatz. Anfangs gab es diese riesigen Touren gar nicht.
Was bedeutet er dir heute?
Ein Riesenevent der Community, der Spaß macht. Wo man die ganze Vielfalt sieht, auch von Leuten, die sich sonst gar nicht so an der Community beteiligen. Auch die ganze Bandbreite von unscheinbar bis auffällig wird sichtbar. An einem Wochenende im Jahr können wir eintauchen und uns Stärke holen für den Rest des Jahres. Ich halte es immer noch für enorm politisch, sich überhaupt nur zu zeigen in der Vielfalt und sich auch gegenseitig zu akzeptieren und selber wahrzunehmen, wie man miteinander umgeht. Es ist auch ein wichtiges Signal an die Politik zu zeigen, wie viele wir sind. An diesem Tag gehört die Stadt uns.
Immer größer, immer bunter, immer lauter: Gibt es etwas, was du an seiner Entwicklung bedauerst?
Grundsätzlich finde ich die Entwicklung größer, bunter, lauter und schriller durchaus positiv. Negativ ist, dass wir so als Konsumgruppe entdeckt wurden, an der sogenannte Trittbrettfahrer mitverdienen wollen, die das restliche Jahr über nichts für die Community tun. Da muss man immer wieder dagegen steuern. Das tun seit 2000 die vier Community-Vereine Letra, Sub, Münchner Aids-Hilfe und Rosa Liste, damit das Ganze nichts aus dem Ruder läuft. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung und das Risiko.
Grundsätzlich finde ich die Entwicklung größer, bunter, lauter und schriller durchaus positiv. Negativ ist, dass wir so als Konsumgruppe entdeckt wurden, an der sogenannte Trittbrettfahrer mitverdienen wollen, die das restliche Jahr über nichts für die Community tun. Da muss man immer wieder dagegen steuern. Das tun seit 2000 die vier Community-Vereine Letra, Sub, Münchner Aids-Hilfe und Rosa Liste, damit das Ganze nichts aus dem Ruder läuft. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung und das Risiko.
Gesellschaft
Ist die Entwicklung von der brutalen Straßenschlacht in der New Yorker Christopher Street 1969 hin zum fröhlichen Münchner Stadtfest namens CSD (=Christopher Street Day) 2009 Ausdruck einer Erfolgsgeschichte der Bewegung?
Ganz sicher. Diese 40 Jahre sind eine enorme Erfolgsgeschichte von Sichtbarkeit und Community, gemeinsam etwas zu machen und zu bewegen. 1969, mit der Reform des Paragraphen 175, konnten wir uns überhaupt erst äußern und politisch aktiv werden. Heute sind Antidiskriminierungsgesetze oder Partnerschaftsgesetze fest verankert.
Sind also die Homosexuellen,Transgender nach 40 Jahren (weitgehend) mitten in der Gesellschaft angekommen?
Da sollten wir uns nichts vormachen. Auch wenn wir es leid haben, uns immer wieder in die Diskriminierungsecke zu stellen. Es wäre fatal zu sagen, wir sind schon längst angekommen. Es gibt hierzulande massive Gegenbewegungen wie die der Rechten und der vermeintlichen Christen. Und wenn wir nur ein bisschen über unseren Tellerrand hinausblicken und nach Osteuropa, in die USA oder auf Muslime schauen - dann denke ich: Vorsicht vor schnellen Urteilen
Wie begegnest du dem Vorwurf: Lesben, Schwule tragen ihre Sexualität mit einem Schild vor sich her?
Ich empfinde das als absurd. Heterosexualität ist der Standard in unserer Gesellschaft und ist überall öffentlich. Heterosexuelle machen sich keinerlei Gedanken darüber, wenn sie sich küssen, Händchen halten oder Fotos zeigen.
Was bedeutet die homosexuelle Forderung nach Toleranz und Akzeptanz konkret?
Den/die anderen auch als andere/n zu akzeptieren, zu würdigen, wertzuschätzen, ohne den Anspruch zu erheben: Gleiche Rechte nur dann, wenn der/die andere ist, so wie ich selber. Niemandem sollte aufgrund eines Gruppenmerkmals eine Sonderbehandlung erfahren.
Zum Schluss
"Homoehe" seit 2001, schwule Spitzenpolitiker, lesbische TV-Moderatorinnen und Tatortkommissarinnen. Manch eine/r wundert sich: Was wollt ihr eigentlich noch?
Wir wollen noch mehr, solange es eine Art sexuelle Apartheid gibt, die Lesben und Schwule anders behandelt wie Heterosexuelle. Wir fordern gleichen Respekt und gleiche Rechte, das heißt Öffnung der Ehe und die Möglichkeit der Adoption. Das Hochjubeln von prominenten Lesben und Schwulen in den Medien macht gerade die Kehrseite deutlich: dass es so selbstverständlich nicht ist.
Was hat München, was Berlin oder Köln nicht hat?
Einen schwulen Stadtrat der Rosa Liste, einen Oberbürgermeister, der beim CSD als Schirmherr mitmarschiert. München hat eine gute Verbindung geschaffen zwischen städtischen Traditionen und schwul-lesbischer Community. Als Beispiele fallen mir Pink Christmas, die Wiesn, der Maibaum und die Schwuhplattler ein.
Was trägst du beim CSD?
Ein Rosa Liste-T-Shirt und eine Regenbogenfahne.
Info Rosa Liste
Rosa Liste wurde 1989 gegründet. Über 100 Mitglieder, davon sind ein gutes Dutzend aktiv. Es gibt keine bezahlten MitarbeiterInnen. Finanzierung durch Spenden und Mitgliedsbeiträge.
Rosa Liste wurde 1989 gegründet. Über 100 Mitglieder, davon sind ein gutes Dutzend aktiv. Es gibt keine bezahlten MitarbeiterInnen. Finanzierung durch Spenden und Mitgliedsbeiträge.
Fragen: Marion Hölczl, Fotos: Carlos Lopes