„Niemand sollte auf dieser Welt Angst haben müssen, als Lesbe, Schwuler, Transgender erkannt zu werden“
Michael Tappe, 50, Coming-out 1978. Er ist seit 1986 in der Münchner Aids-Hilfe aktiv und lebt in der Isarvorstadt.
Coming-out
Wann hattest du dein Coming-out?
Ich war 20, als ich meiner damaligen Freundin gestand, dass ich auf Männer stehe. Sie begleitete mich ins Dortmunder Schwulenzentrum KCR, wo ich schnell Freunde fand.
Wie hast du dich gefühlt, als du sicher warst: Ich bin schwul?
Zuerst mal ziemlich scheiße. Ich war noch aufgewachsen in einer Atmosphäre, die Homosexualität als Perversion begriff, die bestraft gehört. Deshalb vergingen auch einige Jahre zwischen den ersten schwulen Sexkontakten, die heimlich abliefen, und dem Eingeständnis: Ich bin schwul.
Wie haben deine Eltern reagiert?
Als ich einmal den Schritt ins KCR geschafft und dort Freunde und damit Sicherheit gefunden hatte, wurde ich überall öffentlich: im Studium, bei den Eltern, im gesamten Freundeskreis. Ich bin damals sicher mit meiner schon etwas überdrehten Offenheit vielen Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen.
Wusstest Du damals von schwulen Männer in deiner Umgebung?
Nein.
Was unterscheidet ein heutiges Coming-out von deinem?
Die Gesellschaft reagiert nicht mehr so ängstlich und ablehnend. Heute ist es fast unmöglich, nicht irgendjemanden zu kennen, der schwul oder lesbisch ist und in der Öffentlichkeit steht.
Was bedeutet für dich dein Schwulsein?
Heute eine Selbstverständlichkeit. Und es ist für mich mehr, als "bloß" mit Männern zu ficken.
Wer sind deine schwulen Helden?
Damals war das Rosa von Praunheim, dessen Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers" mich sehr beeindruckt und mein Coming-out um einige Jahre beschleunigt hat. Und dann Frank Riploh, der in "Taxi zum Klo" einen schwulen Lehrer gespielt hat. Und die Musikgruppe "Brühwarm", die schwules Leben nicht nur besungen, sondern auch politisiert haben.
Warum sind Vorbilder wichtig?
Sie geben mir Orientierung und Kraft. Was sie schaffen, kann ich vielleicht auch erreichen
Welches Erlebnis hast du im Zusammenhang mit deinem Schwulsein als besonders schmerzhaft empfunden?
Von drei Heterotypen nachts auf der Sonnenstraße zusammengeschlagen zu werden. Ich habe lange gebraucht, um nachts wieder ohne ein ungutes Gefühl allein durch die Straßen zu laufen.
Und welches als besonders schön?
1985 bei einem Austauschprogramm für Sozialarbeiter in den USA (in Ohio!) ganz selbstverständlich bei einer schwulen Gastfamilie untergebracht zu werden.
Community
Was bedeutet dir die Community bzw. Szene?
So etwas wie Heimat. Dass ich mich in München zu Hause fühle, liegt großteils an dieser tollen Community.
Und wie hat sie sich verändert?
Vieles ist oberflächlicher, konsumorientierter und schnelllebiger geworden. Andererseits ist es auch leichter geworden, offen schwul zu leben und gute Freunde zu finden. Am schönsten finde ich, dass die schwule und die lesbische Szene nicht mehr wie Paralleluniversen nebeneinander existieren, sondern dass sich allmählich ein wirkliches Miteinander entwickelt.
Warum ist eine solidarische, sichtbare und starke Szene für München wichtig?
Gegenfrage: Warum ist atmen oder essen wichtig?
Welchen Beitrag sollten Lesben, Schwulen, Transgender dieser Stadt für die eigene Szene leisten?
Natürlich könnten alle sich mehr engagieren, mitmischen und Verantwortung übernehmen. Ich mag aber nicht klagen über zu wenig. Ich freue mich lieber, dass es viele Lesben, Schwulen, Transgender jeden Alters gibt, die sich engagieren und viel erreichen. Ich wünsche mir, dass dies auch so bleibt. Wir haben ja noch genug zu tun: Unser Lebensstil ist noch lange nicht selbstverständlich, und wir haben immer noch nicht die gleichen Rechte. Unsere Freiheiten und unsere gesellschaftliche Anerkennung haben erst sehr zarte Wurzeln, die noch nicht jedem Sturm standhalten. Die Versuchung, sich entspannt zurück zu lehnen und mit dem Erreichten zufrieden zu sein ist verführerisch und gefährlich.
München
Ist München heute eine schwulen-/lesbenfreundliche Stadt?
Nicht immer und überall, aber ich fühle mich auch grad als schwuler Mann hier sehr wohl.
Nicht immer und überall, aber ich fühle mich auch grad als schwuler Mann hier sehr wohl.
Wo hört deiner Meinung nach die Toleranz der noch so liberalen heterosexuellen Münchner MitbürgerInnen dann doch oft auf?
Bei einigen MünchnerInnen hat die Toleranz ja noch gar nicht begonnen!
Gibt es etwas, das du irgendwo in München tunlichst vermeiden würdest aus Angst vor homofeindlichen Reaktionen?
Vermeiden würde ich diese Orte nicht, aber ich wäre vielleicht etwas vorsichtig und würde meinen Begleiter nicht spontan küssen.
Münchner Aids-Hilfe
Warum engagierst du dich für die Münchner Aids-Hilfe?
Nachdem ich positiv getestet worden war, schloss ich mich 1986 einer Selbsthilfegruppe an.
Warum ist Dein Verein für München wichtig?
Ich fand 1986 bei der Aids-Hilfe die Unterstützung, die ich brauchte. Diese Unterstützung ist auch heute noch für viele der über 5000 Positiven in München sehr wichtig.
Auf welche drei Erfolge bist du besonders stolz?
Erstens: Wir haben wesentlich dazu beigetragen, dass es ein hervorragendes Versorgungsnetz für HIV-Infizierte in München gibt.
Zweitens: Die HIV-Neuinfektionen bei schwulen Männern sind zwar hoch, aber deutlich geringer als in anderen europäischen Großstädten.
Drittens: Die Diskriminierung von Positiven hat in den letzten 25 Jahren deutlich nachgelassen.
Welche Vorhaben wollt ihr demnächst umsetzen?
Den HIV-Test schwulen Männer noch näher bringen, weil es von großem Vorteil ist, zu wissen, ob man infiziert ist oder nicht. Die Diskriminierung in der Arbeitswelt weiter abbauen. Und wir wollen dazu beitragen, das Lesben, Schwulen, Transgender, ob infiziert oder nicht, sich auf ihren Lebensabend freuen können.
Warum sollte ich mich in Deinem Verein engagieren?
Weil du bei uns einen wesentlichen Beitrag zur Gesunderhaltung der Szene und der Menschen, die diese Szene ausmachen, leisten und dabei auch noch Spaß haben kannst.
Kann ich das auch stunden- oder projekteweise tun?
Ja. Wir sind in der Hinsicht sehr flexibel. Es gibt Bereiche, wo sehr viel Zeit und Regelmäßigkeit nötig ist, und es gibt auch die Möglichkeit, nur sporadisch oder bei Einzelaktionen zu helfen.
Christopher Street Day
Dein erster CSD?
Das war irgendwann Ende der siebziger Jahre. Wir sind von Dortmund zum CSD nach Hamburg gefahren. Die kleine Schar von Demonstranten, die fast alle wild aufgefummelt waren oder zumindest Latzhosen, lange Haare und Bärte trugen, wurde angeführt von einer Tunte auf Rollschuhen, die Parolen in ein Megaphon brüllte.
Was bedeutet er dir heute?
Um ehrlich zu sein: eine Verpflichtung. Ich gehe hin, weil ich es politisch wichtig finde.
Immer größer, immer bunter, immer lauter: Gibt es etwas, was du an seiner Entwichlung bedauerst?
Bedauern wäre das falsche Wort. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen auch die Parade. Ich finde es toll, auf der CSD-Parade auch selbstbewusst zu feiern, dass wir viel erreicht haben. Es sollte aber darüber nicht vergessen werden, dass es noch mehr zu erreichen gilt. Nicht überall ist die CSD-Parade ein Fest. In manchen Städten wird sie als unmoralisch verboten und AktivistInnen werden verprügelt und verhaftet, wenn sie sich trotzdem auf die Straße wagen. Und auch bei uns gibt es immer noch genug Lesbe, Schwule, Transgender, die sich aus Angst, gesehen zu werden, nicht auf die Parade trauen. Deren Angst ist verständlich und gleichermaßen unerträglich. Niemand sollte auf dieser Welt Angst haben müssen, als Lesbe, Schwuler, Transgender erkannt zu werden.
Die vier Vereine LeTra, Sub, Münchner Aids-Hilfe und Rosa Liste organisieren seit 2000 gemeinsam den Münchner Christopher-Street-Day, es kooperieren Lesben und Schwule miteinander. Tappt ihr dabei auch immer wieder in die Mann-Frau-Falle oder herrscht zwischen Lesben und Schwulen eitler Sonnenschein?
Wir tappen in fast jede Falle! Solange wir da gemeinsam und gestärkt wieder rauskommen, ist das ja auch ganz gut und lehrreich. Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.
Gesellschaft
Gesellschaft
Ist die Entwicklung von der brutalen Straßenschlacht in der New Yorker Christopher Street 1969 hin zum fröhlichen Münchner Stadtfest namens CSD (=Christopher Street Day) 2009 Ausdruck einer Erfolgsgeschichte der Bewegung?
Ja, das ist sie! Und diese Erfolgsgeschichte ist noch nicht vorbei. Wir haben gerade erst angefangen.
Und sind also die Homosexuellen/Transgender nach 40 Jahren (weitgehend) mitten in der Gesellschaft angekommen?
Es scheint so. Aber sicher ist das noch nicht, und längst nicht für alle. Da braucht es noch einige Jahre, um das zu festigen und auszubauen.
Wie begegnest du dem Vorwurf: Lesben, Schwule tragen ihre Sexualität mit einem Schild vor sich her?
Ich finde es absurd, als homosexuell die Betonung liegt auf sexuell bezeichnet zu werden, und dann vorgeworfen zu bekommen, sexuell zu sein. In dem dichten Schilderwald, in dem wir leben, nimmt jede/r eh nur die Schilder wahr, die ihn/sie ansprechen. Ich trage sicherlich mehrere Schilder vor mir her, sicher auch das Schild "Sex", und das sehr gerne. Wem nur dieses eine Schild auffällt, sollte sich vielleicht mal fragen, warum ihn/sie meine anderen Schilder nicht interessieren.
Ich finde es absurd, als homosexuell die Betonung liegt auf sexuell bezeichnet zu werden, und dann vorgeworfen zu bekommen, sexuell zu sein. In dem dichten Schilderwald, in dem wir leben, nimmt jede/r eh nur die Schilder wahr, die ihn/sie ansprechen. Ich trage sicherlich mehrere Schilder vor mir her, sicher auch das Schild "Sex", und das sehr gerne. Wem nur dieses eine Schild auffällt, sollte sich vielleicht mal fragen, warum ihn/sie meine anderen Schilder nicht interessieren.
Was bedeutet die homosexuelle Forderung nach Toleranz und Akzeptanz konkret?
Dass niemand mehr davon ausgeht, alle anderen um ihn herum sind wie er/sie und dass er/sie das auch gut findet.
Zum Schluss
"Homoehe" seit 2001, schwule Spitzenpolitiker, lesbische TV-Moderatorinnen und Tatortkommissarinnen. Manch eine/r wundert sich: Was wollt ihr eigentlich noch?
Einen offen schwulen Papst vielleicht?
Was hat München, was Berlin oder Köln nicht hat?
In München sind selbst die Darkrooms sauber.
Was trägst Du beim CSD?
Hoffentlich nicht eine Regenjacke.
Info Münchner Aids-Hilfe
1984 gegründet. Über 40 Hauptamtliche und über 130 Ehrenamtliche. Finanzierung: staatliche, freiwillige staatliche (Freistaat Bayern) und kommunale (Landeshauptstadt München) Zuschüsse (39%), selbst verdiente Einnahmen durch Betreuungsentgelte (24%) und durch wirtschaftlichen Geschäfts- und Zweckbetriebe (10%). Sonstige Einnahmen (10%) wie Aufwandsentschädigungen und Lohnkostenerstattungen, z.B. für TeilnehmerInnen an Beschäftigungsmaßnahmen sowie aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen (17%).
Münchner Aids-Hilfe, Lindwurmstraße 71, 80337 München
Tel. 54 333 0
info@muenchner-aidshilfe.de www.muenchner-aidshilfe.de
Tel. 54 333 0
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Fragen: Marion Hölczl, Fotos: Carlos Lopes