Regenbogen der Geschlechter - wertvoll sind wir alle!

So’n Trans*-Thema halt“, ist meist die Reaktion,  wenn man in der Münchner Community nach dem diesjährigen CSD-Motto fragt. Ja, das Trans*-Thema ist uns auch ein wichtiges Anliegen, doch mit dem Motto wollen wir, die Veranstalter*innen des CSD München 2014, deutlich mehr Themen transportieren. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, starre Geschlechterrollen und Muster in Frage zu stellen, zu diskutieren und für die Akzeptanz, Sichtbarkeit und besonders die Wertschätzung vielfältiger Identitäten einzutreten.

Wieder mal wird es nötig sein, wahrend der Politparade und des politischen Auftaktes des CSD, auf die fehlende rechtliche wie soziale Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Trans*-Menschen in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Gleichzeitig regen wir auch in unserer Community zu einer Auseinandersetzung mit eigenen Bildern, Stereotypen und der möglicherweise fehlenden Wertschatzung untereinander an.

Klar ist: Das „Wir“ soll in diesem Jahr im Mittelpunkt des CSD stehen.

Der Kern des Wir-Gefühls ist Zusammengehörigkeit. Das klingt zunächst banal, ist aber im alltäglichen Umgang eine echte Herausforderung, die eine Menge voraussetzt: Sich gegenseitig wirklich zu kennen, den Alltag, aber auch die Note und Bedürfnisse, sich gleichberechtigt auszutauschen, das heisst gehört zu werden, aber eben auch zuzuhören, sich zu respektieren, bis hin zur Formulierung gemeinsamer politischer und gesellschaftlicher Ziele. Der CSD München macht seit Jahren die Vielfalt unserer Szene sichtbar und setzt sich für ein Klima des gegenseitigen Respektes und der Solidarität auch innerhalb unserer Community ein. Doch empfinden wirklich alle Menschen der genannten Gruppen ein gleichberechtigtes und selbstverständliches Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn wir von „unserer“ LGBTI-Community sprechen? Wohl kaum. Auch wir mussen teilweise erst lernen, einander in unserer Unterschiedlichkeit und Vielfalt zu würdigen und anzuerkennen. Wir leben alle in einer Gesellschaft, die gewohnt ist, Menschen einzuteilen. Auf geschlechtlicher Ebene werden uns zunächst einzig die Kategorien Mann und Frau angeboten. Für die meisten Menschen ist das kein Problem. Ihnen tut diese Einteilung nicht weh, zumindest zunächst nicht. „Und wer ist in eurer Beziehung der Mann?“ ist dagegen eine Frage, die die meisten Homosexuellen schon viel mehr verärgert, impliziert sie doch, dass es eben doch einen Mann und eine Frau braucht, um eine „richtige“ Beziehung zu fuhren. Die Lesben- und Schwulenbewegung hat sich längst von diesen einseitigen heteronormativen Beziehungsmustern verabschiedet und erfreut sich einer lebendigen Vielfalt unterschiedlichster Beziehungsmodelle und Geschlechtsidentitäten. Neben solchen Klassikern wie Butch und Femme bei den Lesben, dem Lederschwulen und der Drag Queen, finden wir heute in unseren Reihen auch Trans*-Menschen unterschiedlichster Couleur, Cross-Dresser, queere Weiblich- und Männlichkeiten, Travestiekünstler und und und. Bisexuelle, transidente und intersexuelle Menschen finden immer starker ihren Weg in unsere Community und ihren Platz darin. Doch verläuft dies nicht immer reibungslos, weil wir oftmals selbst untereinander nicht in der Lage sind, uns vorurteilsfrei zu begegnen. Bitte nicht falsch verstehen: Es ist nicht zu leugnen, Europa ist politisch offener und bunter für LGBTI geworden. Wahrend Vorreiterstaaten wie die Niederlande und Spanien die Gleichstellung der Homoehe bereits eingeführt haben, gibt es in allen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Stadien der rechtlichen Gleichstellung. Vor allem gibt es Aktivist*innen in ganz Europa, die für die Rechte von LGBTI kämpfen. Es ist viel erreicht worden, und die Aktivist*innen können zu Recht stolz auf sich sein. Doch neben diesen augenscheinlichen Erfolgen zeigt sich ein beunruhigendes Phänomen.

Neben der Transphobie wächst die Homophobie und zeigt sich in Deutschland und weltweit wieder offener.

Selbsternannte „besorgte Eltern“ demonstrieren in Baden-Württemberg gegen Aufklärungsarbeit, die sie als sexuelle Umerziehung dämonisieren, unsägliche Schreiberlinge wie Matthias Matussek bekommen von großen Blättern ungeniert eine Plattform für intolerante Hetze geboten, wütende Emails werden an das Sozialreferat München wegen gleichgeschlechtlicher Paare auf dem diesjährigen Familienpass verschickt. In Frankreich wird massiv gegen gleichgeschlechtliche Ehen protestiert, die Todesstrafe für Homosexualität wird in einigen Ländern vollstreckt, in Russland gibt es das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“. Die traurige Liste ließe sich noch lange fortsetzen. In Europa, so scheint es, ist einerseits eine fortschreitende Liberalisierung in den Ländergesetzgebungen zu verzeichnen und zugleich ein latenter intoleranter Backlash festzustellen, der sich unreflektiert gegen alles richtet, was von der Norm abweicht. Ein gutes Beispiel hierfür ist auch die Kunstfigur Conchita Wurst.

Eine Drag Queen mit Bart gewinnt den Eurovision Song Contest 2014 mit deutlichem Abstand zu den Nächstplatzierten.

Ein wunderbares Zeichen für Toleranz und Akzeptanz innerhalb Europas, so scheint es. Gleichzeitig lost dieser Sieg bzw. seine Siegerin aber auch massive homophobe bis zutiefst aggressive Kommentare aus. Schwule und Lesben werden mittlerweile von der Gesellschaft besonders dann akzeptiert, wenn sie sich dem heterosexuellen Mainstream möglichst anpassen. Trans*-Menschen allerdings erleben häufig massive Anfeindungen, wenn sie die Anpassung an ihr empfundenes Geschlecht zu vollziehen beginnen. Wenn man jetzt, wie im Falle Conchita Wurst, gar nicht mehr sicher sein kann, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist, so ist scheinbar das Armageddon der Zivilisation nahe, weil… ja, warum eigentlich? Haben wir nicht theoretisch die Gleichberechtigung von Mann und Frau hier in Deutschland? Ist es nicht zumindest auf dem Papier so, dass es keine Rolle spielen sollte, welches Geschlecht ich habe? Sollten Dinge wie Berufschancen, Bezahlung usw. nicht ohnehin gleich sein? Theoretisch. Praktisch zeigt sich gerade am gesellschaftlichen Umgang mit Trans*-Menschen und Homosexuellen, wie verbissen sich verunsicherte Konservative an tradierten Kategorien und Rollen festklammern, egal wie vorsintflutlich, starr und unzureichend diese sind. Der Grund liegt auf der Hand: Kategorien und Rollen machen eine komplizierte und verunsichernde Welt einfach und erfassbar. Also bitte lasst doch wenigstens die Geschlechtergrenzen in Frieden! Ein Trans*-Mann hat über sein Leben als Frau einmal gesagt: „Eine Frau zu sein war für mich, wie wenn du einen großen Pickel auf der Stirn hast. Alle Leute starren immer nur darauf, und im Grunde wirst du die ganze Zeit auf etwas reduziert, was du an dir selbst gar nicht magst.“ Als wir für diese Titelgeschichte des PrideGuide Leute für die Fotos suchten, die auf einem Schild ein Etikett für sich selbst finden sollten, fiel es den Leuten unglaublich schwer, einen Schwerpunkt zu setzen, sich zu entscheiden. So meinte jemand: „Wenn ich drei Adjektive nehme und ein Nomen, dann wirkt das so, als wäre die eine Seite wichtiger als die drei anderen!“ Etiketten sind schwierig, weil sie immer unzureichend  bleiben und weil ihnen etwas Endgültiges anhaftet, das nicht recht zu einer Welt passen will, in der sich ständig alles verändert. Etiketten werden noch schwieriger, wenn sie zudem auch noch von außen aufgedruckt werden. Vor allem deshalb, weil mit dem Etikett immer auch Erwartungen verknüpft sind.

Unser Motto „Regenbogen der Geschlechter – wertvoll sind wir alle“ ist kein Zugeständnis an eine Randgruppe innerhalb einer Randgruppe.

Es ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass es keine Randgruppen geben sollte, weil wir im Grunde alle denselben Kampf kämpfen: den Kampf um Anerkennung unserer jeweiligen Einmaligkeit, die uns als Menschen auszeichnet.

 

Rita Braaz / LeTRa (Pressesprecherin)   E-Mail
Thomas Niederbühl / Rosa Liste (Politischer Sprecher)   E-Mail

Unsere Partner