Zur Frau gemacht - Intersexualität

Mich hat niemand gefragt, als was ich mich fühle. Ich habe einfach Tabletten bekommen und dann hiess es: „Wenn du die nicht nimmst, zersetzen sich deine Knochen.“

Bei einem von 3000 Embryos verläuft die Geschlechtsentwicklung nicht normal. Beispiel: Bei einem von 3000 Embryos bilden sich sowohl Penis als auch Vagina. Der Grund? Gendefekt. Die Folgen? Die Eltern treffen eine Entscheidung. Für das Kind. Ohne das Kind. Meistens ist Abschneiden leichter. Anderes Beispiel: Bei einem von 3000 Embryos bilden sich während der Schwangerschaft uneindeutige Geschlechtsorgane. Der Grund? Hormonstörung. Die Folgen? Zu wenig Testosteron = Mädchen, zu viel Testosteron = Junge. Körperlich. Äußerlich. Aber eben nicht psychisch. Max ist so einer von 3000 und erzählt von seinem langen und häufig schmerzhaften Weg zu sich selbst.

 

Max* > Ob schon früh klar war, dass ich intersexuell bin, also für meine Eltern, ist bis heute nicht klar. Meine Mutter sagt, sie hat es nicht gewusst. Aber ob das stimmt, weis ich nicht. Mein Vater ist schon tot. Also ich hab’s nicht gewusst. Es gab aber sehr früh schon Hinweise. Lustige Anekdoten, bei denen sich keiner was gedacht hat, z. B. habe ich mit anderthalb Jahren mal bei einer Tante übernachtet. Ich hab da im Garten gespielt, und dann war halt die Latzhose schmutzig. Am nächsten Tag wollten sie mir ein Kleid anziehen – da hab ich mich so gewehrt! Und sie haben es zu zweit nicht geschafft, das anderthalbjährige Kind in ein Kleid zu stecken. Insgesamt hatte ich aber das Glück, dass meine Eltern nicht versucht haben, mich umzuerziehen. Sie haben manchmal versucht, mich auszutricksen. Ich hab z. B. überhaupt nicht mit Puppen und so was gespielt, und dann haben meine Eltern irgendwann die Idee gehabt, dass mein Vater, dem ich immer alles nachgemacht habe, sich eine Puppe zu Weihnachten wünschen konnte. Sie haben gedacht, wenn er das macht, dann will ich auch eine. Ich habe dann auch wirklich eine Puppe bekommen. Ich habe das Ding gepackt und meinem Vater hingeschmissen und gesagt: „Das hast du dir gewünscht.“ Also das hat nicht wirklich funktioniert.

PrideGuide > Wie kam es dazu, dass du wirklich Sicherheit hattest, was deine Intersexualität betrifft?

Max* >Mit 11 Jahren bin ich auf Drangen unseres Hausarztes hin zu einem Hormonspezialisten überwiesen worden. Nicht gerade normal bei einem 11-jahrigen Kind. Dieser Typ hat aber nicht mit einem geredet, nur stumm
irgendwelche Tests gemacht und Tabletten verschrieben. Man konnte jetzt sagen, dass es Aufgabe meiner Eltern gewesen wäre, zu klaren, was ihr Kind da verschrieben kriegt und warum. Meine Mutter behauptet bis heute, dass der Arzt auch mit ihr nicht gesprochen hat. Was er mir verschrieben hat waren Tabletten, die Trans*-Frauen bekommen, also Männer, die vorbereitet werden auf die geschlechtsumwandelnde Operation zur Frau. Ich bekam dann Brüste, aber in einer Größenordnung, die in meinem Alter ganz und gar nicht normal war, und habe darunter furchtbar gelitten. Ich hatte dann mit 13 Doppel-D, und bis ich volljährig war F, und das mit 60 Kilo! Das war völlig unproportioniert. Mit 15 hat mir der Arzt dann einmal etwas gesagt, aber auch nicht weiter erklärt. Er sagte: „Du kannst keine Kinder kriegen, und du wirst immer Hormone nehmen müssen, sonst kriegst du Osteoporose.“ Ich habe also immer Hormone genommen, aus Angst, schwer krank zu werden. Gleichzeitig hatte ich aber, wie gesagt, von Anfang an mit meinen Brüsten große Schwierigkeiten, hab die als Fremdkörper empfunden, wollte die loswerden. Meine Hoffnung war: „Wenn ich 18 bin, lass ich mir das abschneiden.“ Hab ich auch getan und meine Brüste von F auf C verkleinern lassen. Aber weil ich die Tabletten weiter genommen habe, sind die Brüste immer wieder nachgewachsen. Ich war dann mit Ende 30 mal bei einer endokrinologischen Untersuchung, eigentlich wegen der Schilddruse. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde ein Ultraschall gemacht. Das war damals ein junger Arzt, der ewig mit seinem Ultraschallding gekreist hat. Und ich dachte mir schon, dass ich vielleicht einen Tumor hatte. Er hat dann sogar noch seine Chefs dazu geholt. Irgendwann bin ich echt wütend geworden: „Jetzt sagen Sie mir doch endlich, was los ist!“ Und dann meinte der: „Wir finden Ihre Geschlechtsorgane nicht. Da sind gar keine. Nix, also keine Gebärmutter, keine Eierstocke.“ Das war echt ein Schlag. Ich war ja doch mehr oder weniger regelmäßig zur Vorsorge gegangen, also zum Frauenarzt. Der hat auch einmal im Jahr Ultraschall gemacht, aber dem ist nie aufgefallen, dass da was fehlt. Es scheint so, dass mancher Arzt so ein Gerat kauft, aber damit nicht wirklich umgehen kann. Er sieht dann, das was er sehen will. Ich habe dann später, als ich es sicher wusste, nachgelesen, und bis heute steht in den Behandlungsleitlinien für Gynäkologen, dass, wenn sie Patientinnen haben, bei denen sie Intersexualität feststellen, ihnen empfohlen wird, das nicht zu sagen, um eine psychische Krise zu vermeiden.

PG > Kannst du das emotional nachvollziehen?

Max* >Ja und nein. Klar ist es vielleicht nicht ratsam, einer Frau, die zum Frauenarzt geht, weil sie nicht schwanger wird, einfach zu sagen, dass sie eigentlich ein Mann ist. Diese Frau hat sich ja voll mit dem „Frau-Sein“ identifiziert. Aber man kann doch einem Mädchen, das sich schon immer wie ein Junge gefühlt hat, nicht einfach Hormone verschreiben. Vor allem hat man mich ja nie gefragt, als was ich mich fühle. Ich habe eben einfach Tabletten bekommen, und dann hieß es: „Wenn du die nicht nimmst, dann zersetzen sich deine Knochen.“ In einer Klinik hat man dann übrigens bei einer Biopsie verkümmerte Hoden gefunden, und dann wurde ein Gentest gemacht. Ab da war alles klar!

PG > Welche Veränderungen würden deiner Meinung nach die Lebenssituation von intersexuellen Menschen verbessern ?

Max* >Ein Intersexuellengesetz! Alle Intersexuellen müssen derzeit den Trans*-Weg gehen. Wichtig aus unserer
Sicht ist also besonders, dass das gesetzlich geregelt gehört. Dass man an Kindern keine OPs macht, solange die
nicht mitreden können. Dass man auch Kinder nicht mit Hormonen zuschüttet, ohne dass sie mitreden können. Und dass man den Leuten selber die Möglichkeit gibt, zu entwickeln, was sie für ein Geschlecht haben, und nicht
Kinder in eine Rolle presst.

Anmerkung der Redaktion:
Seit 2013 wird in Deutschland bei Neugeborenen, die keinem Geschlecht zugeordnet werden können, innerhalb einer Woche im Geburtenregister kein Geschlecht eingetragen; eine „dritte Kategorie“ gibt es nicht. De facto kommt das natürlich einer Stigmatisierung gleich.


* Name von der Redaktion geändert

Hier gibt es wertvolle Hilfe und umfangreiche Informationen zum
Thema Intersexualität:

Bundesweit:

Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V.    www.dgti.org
Intersexuelle Menschen e. V.    www.intersexuelle-menschen.net

München:

VivaTS Selbsthilfe München e. V.    www.vivats.de
Transmann e. V.    www.transmann.de

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