„Ich will all das, was Heterosexuellen in unserer Gesellschaft auch geboten wird“
Rita Braaz, 47, Coming-out 1980. Seit 2004 bei LeTRa aktiv. In München lebend seit 1984 und seit kurzem im Westend.
Coming-out
Wann hattest du dein Coming-out?
Mit 14 habe ich unserem Schulkaplan mein Lesbischsein gebeichtet, weil ich wusste, dass er an das Beichtgeheimnis gebunden war.
Wie hast du dich gefühlt, als du sicher warst: Ich bin lesbisch?
Großartig, weil ich jugendlich naiv glaubte, deshalb etwas besonderes zu sein.
Wie haben deine Eltern reagiert?
Als ich 16 war, haben es beide erfahren. Mein Vater hat völlig gleichgültig reagiert. Meine Mutter hat ein halbes Jahr kein Wort mit mir geredet. Später hat sie sich entschuldigt. Dass ich lesbisch lebe, war fast 20 Jahre ein Problem für sie.
Als ich 16 war, haben es beide erfahren. Mein Vater hat völlig gleichgültig reagiert. Meine Mutter hat ein halbes Jahr kein Wort mit mir geredet. Später hat sie sich entschuldigt. Dass ich lesbisch lebe, war fast 20 Jahre ein Problem für sie.
Wusstest du damals von lesbischen Frauen in deiner Umgebung?
Nein.
Nein.
Was unterscheidet ein heutiges Coming-out von deinem?
Der Community sei Dank gibt es insgesamt und speziell für Jugendliche mehr Angebote und Unterstützung für ein queeres Leben.
Der Community sei Dank gibt es insgesamt und speziell für Jugendliche mehr Angebote und Unterstützung für ein queeres Leben.
Was bedeutet für dich dein Lesbischsein?
Das Private mein Lesbischsein ist auch mein politisches und berufliches Leben. Insofern bin ich nicht einfach nur Lesbe, sondern auch täglich mit dem Thema Gleichstellung für Lesben, Schwule und Transgender befasst.
Wer sind deine lesbischen Heldinnen?
Audre Lorde ist mein größtes lesbisches Vorbild. Sie hat mich mit ihrer unglaublichen Ausstrahlung und ihren Texten tief beeindruckt. Heldinnen und Helden sind für mich auch alle, die sich für unsere Szene einsetzen.
Warum sind Vorbilder wichtig?
Weil ich von ihnen lerne und sie mich inspirieren und ermutigen.
Welches Erlebnis hast du im Zusammenhang mit deinem Lesbischsein als besonders schmerzhaft empfunden?
Die anhaltende gesetzliche Gewalt gegen Schwule, Lesben und Transgender in vielen Ländern unserer Welt und die juristischen Diskriminierungen hier bei uns.
Und welches als besonders schön?
Die Gay Games in Amsterdam und die Eröffnungsveranstaltung der Eurogames in München gehören mit zu meinen schönsten Erlebnissen.
Community
Was bedeutet dir Community bzw. Szene?
Ein unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens. Auch wenn ich nicht jedes Angebot persönlich nutze, will ich trotzdem, dass es ein breites Angebot für die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen gibt.
Und wie hat sie sich verändert?
Es gibt immer mehr Angebote, Vereine und Projekte, die gemeinschaftlich von Schwulen, Lesben, Transgender verwirklicht werden. Als negativ empfinde ich eine schwächer werdende Frauen- und Lesbenbewegung, da heute viele Themen als „Frauenthemen“ behandelt werden und Lesben somit thematisch nicht mehr sichtbar sind.
Warum ist eine solidarische, sichtbare und starke Szene für München wichtig?
Weil wir alle ein soziales Leben haben und brauchen. Ich möchte wählen können, ob ich in ein Café gehe, in dem ich meine Frau ohne Probleme küssen kann oder in eines, wo ich niemanden aus der Szene treffe. Nahezu jedes Angebot in unserer Szene existiert, weil sich Schwule, Lesben und Transgender ehrenamtlich dafür einsetzen und stark machen. Ohne dieses wahnsinnige Engagement hätten wir in München niemals so ein breites Szeneangebot.
Welchen Beitrag sollten Lesben, Schwule, Transgender dieser Stadt für die eigene Szene leisten?
Jede oder jeder hat etwas zu geben – egal, ob es sich um Zeit, Geld oder besondere Fähigkeiten handelt. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich innerhalb der Szene zu engagieren, wichtig ist nur, dass es möglichst viele auch tun.
München
Ist München heute eine schwulen-/lesbenfreundliche Stadt?
Ja, und das steht auch im Koalitionsvertrag unserer Stadtratsmehrheit festgeschrieben. Von städtischer Seite aus wurde gerade durch die Koordinierungsstelle für Gleichgeschlechtliche Lebensweisen ungeheuer viel erreicht. München und seine BürgerInnen sind überwiegend weltoffen.
Wo hört Deiner Meinung nach die Toleranz der noch so liberalen heterosexuellen Münchner MitbürgerInnen dann doch oft auf?
Bei dem Thema lesbische oder schwule Eltern. Da sind immer noch viele der Überzeugung, dass Kinder nur bei heterosexuellen Eltern aufwachsen sollten.
Auch der anonyme Sex von Schwulen auf der Klappe, in der Sauna oder beim Cruisen erregt bei vielen Heteros Ablehnung, die vielleicht ganz oft nicht eingestandene Neidgefühle ausdrückt.
Auch der anonyme Sex von Schwulen auf der Klappe, in der Sauna oder beim Cruisen erregt bei vielen Heteros Ablehnung, die vielleicht ganz oft nicht eingestandene Neidgefühle ausdrückt.
Gibt es etwas, das du irgendwo in München tunlichst vermeiden würdest aus Angst vor homofeindlichen Reaktionen?
Ich würde ungern mit meiner Frau händchenhaltend durch eine Gruppe Neonazis laufen. Ich bin als Lesbe sehr öffentlich und erlebe zum Glück selten negative Reaktionen.
LeTRa
Warum engagierst du dich für LeTRa?
Mein frauen- und lesbenpolitisches Engagement fing schon mit 18 Jahren an. Seit 2004 bin ich im LeTRa als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit angestellt.
Warum ist LeTRa für München wichtig?
LeTRa ist die einzige städtisch geförderte professionelle Lesbenberatungsstelle in ganz Bayern. Wir sitzen in 17 Vernetzungsgremien und arbeiten an fast allen LGBT-Themen* mit. Zudem bieten wir psychosoziale Beratung für einzelne Frauen und Lesbenpaare sowie Informationen für Angehörige und MultiplikatorInnen. Und außerdem sind wir Mitveranstalterin des CSD München.
Auf welche drei Erfolge bist du besonders stolz?
Erstens: Dass sich eine kleine Gruppe von Lesben seit vielen Jahren ehrenamtlich für LeTRa engagiert, so dass aus diesem Engagement die heutige professionelle Lesbenberatungsstelle entstehen und sich weiterentwickeln konnte.
Zweitens: 2006 erhielten wir den Anita-Augspurg-Preis der Landeshauptstadt München. Mit diesem Preis werden jährlich vorbildliche Beiträge zur Förderung der Gleichberechtigung ausgezeichnet. Drittens: Jedes Jahr tragen mit unserer Womenpower dazu bei, dass der CSD in München stattfindet und wir mit unserer ganzen Leidenschaft mitorganisieren und -feiern.
Welche wichtigen Vorhaben wollt ihr demnächst umsetzen?
Wir nehmen derzeit an einer städtischen, dreijährigen Fortbildung zur Interkulturellen Qualitätsentwicklung teil und arbeiten gezielt daran, unsere Einrichtung und unsere Angebote attraktiver für Migrantinnen zu gestalten. Und dieses Jahr findet zum ersten Mal nach dem Lesbischen Angertorstraßenfest eine Benefizparty für LeTRa statt. Gemeinsam mit dem L-World Club feiern wir im Oberangertheater bis 4 Uhr früh und freuen uns, wenn ganz viele mit dabei sind.
Warum sollte ich mich in deinem Verein engagieren?
Wir tragen mit unseren Beratungsangeboten und unseren Veranstaltungen sowie unserer Öffentlichkeitsarbeit ganz wesentlich dazu bei, dass in München für Lesben eine Anlaufstelle besteht und lesbische Themen in der Stadt und in der Öffentlichkeit präsent sind. Außerdem macht es Spaß, sich zu engagieren.
Kann ich das auch stunden- oder projekteweise tun?
Ja. Zum Beispiel bei der Dekoration des CSD-LeTRawagens oder auf unserem Straßenfest. Natürlich sind auch einmalige projektbezogene Zeit- oder Geldspenden möglich. Eine gute Basis für unseren Verein sind natürlich auch viele Mitfrauen.
Ja. Zum Beispiel bei der Dekoration des CSD-LeTRawagens oder auf unserem Straßenfest. Natürlich sind auch einmalige projektbezogene Zeit- oder Geldspenden möglich. Eine gute Basis für unseren Verein sind natürlich auch viele Mitfrauen.
Christopher Street Day
Dein erster CSD?
Das war 1999. Ich stand am Odeonsplatz auf der Bühne, um ein Statement abzugeben, weshalb ich bei der 30 Jahre CSD-Feier dabei bin. Das war ein ungeheuer starkes Gefühl von Community und Zugehörigkeit, das ich damals erlebte.
Was bedeutet dir heute?
Erst mal jede Menge Arbeit. Dann ist es immer wieder wunderbar, gemeinsam mit 25000 Menschen die Parade und den politischen Auftakt zu erleben. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in München nicht Moskauer Verhältnisse haben.
Immer größer, immer bunter, immer lauter: Gibt es etwas, was du an seiner Entwicklung bedauerst?
Ich stehe auf das Großformat und die Vielfalt unserer Szene. Gleichzeitig sorgen wir als Veranstalter ja auch dafür, dass der CSD immer auch ein politisches Ereignis bleiben wird und nicht einfach nur eine Art LGBT-Loveparade* wird.
Die vier Vereine LeTra, Sub, Münchner Aids-Hilfe und Rosa Liste organisieren seit 2000 gemeinsam den Münchner Christopher-Street-Day, es kooperieren Lesben und Schwule miteinander. Tappt ihr dabei auch immer wieder in die Mann-Frau-Falle oder herrscht zwischen Lesben und Schwulen eitler Sonnenschein?
Die Zusammenarbeit in der CSD-Organisation läuft richtig klasse. Natürlich gibt es auch heute noch den ein oder anderen Schwulen, der mit Lesben nicht kann oder auch umgekehrt. Aber die Erfahrungen der Zusammenarbeit gerade wenn es um den CSD geht, schweißen uns ja auch zusammen. Die Mann-Frau-Falle ist bei uns eher ein Thema für Witze.
Gesellschaft
Sind die Homosexuellen/Transgender nach 40 Jahren (weitgehend) mitten in der Gesellschaft angekommen?
Mal mehr, mal weniger. Es gibt noch genügend Diskriminierungen abzuschaffen und Defizite zu beseitigen. An dem Tag, an dem es in Deutschland eine hundertprozentige Gleichstellung für LGBT* gibt, ist ein Riesenerfolg errungen.
Ist die Entwicklung von der brutalen Straßenschlacht in der New Yorker Christopher Street 1969 hin zum fröhlichen Münchner Stadtfest namens CSD (=Christopher Street Day) 2009 Ausdruck einer Erfolgsgeschichte der Bewegung?
Absolut! Die politischen Erfolge unserer Bewegung sind ja nicht vom Himmel gefallen, und der CSD macht sich auch nicht von alleine. Ohne die vielen Vereine der Community, ohne die schwul/lesbischen MandatsträgerInnen in der Stadtpolitik und immer wieder ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen würde es den CSD so nicht geben.
Wie begegnest du dem Vorwurf: Lesben, Schwule tragen ihre Sexualität mit einem Schild vor sich her?
Warum müssen Heterosexuelle ständig, immer und überall ihre sexuelle Orientierung zum Thema machen und diese bewerben? Die werden doch gar nicht diskriminiert, und es gibt noch dazu ganz viele.
Was bedeutet die homosexuelle Forderung nach Toleranz und Akzeptanz konkret?
Gleiches Recht für alle juristisch und sozial in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Zum Schluss
Homoehe seit 2001, schwule Spitzenpolitiker, lesbische TV-Moderatorinnen und Tatortkommissarinnen. Manch eine/r wundert sich: Was wollt ihr eigentlich noch?
Ich will all das, was Heterosexuellen in unserer Gesellschaft auch geboten wird. Niemand sagt doch: Heteros haltet die Klappe, denn ihr habt doch schon so viel erreicht.
Was hat München, was Berlin oder Köln nicht hat?
Die Rosa Liste, das Rathausclubbing und die Schwuhplattler.
Was trägst Du beim CSD?
Ich bräuchte ein Wechsel-T-Shirt mit LeTRa- und Rosa Liste-Logo.
Info LeTRa-Lesbenberatung
Der Trägerverein Lesbentelefon wurde 1987 gegründet, die Maßnahme LeTRa 1999. Vier hauptamtliche und acht feste ehrenamtliche Teamlesben sowie zwanzig ehrenamtliche Helferinnen. Finanzierung über städtische Zuschüsse, Eigenmittel, Mitfrauenbeiträge und Spenden.
Der Trägerverein Lesbentelefon wurde 1987 gegründet, die Maßnahme LeTRa 1999. Vier hauptamtliche und acht feste ehrenamtliche Teamlesben sowie zwanzig ehrenamtliche Helferinnen. Finanzierung über städtische Zuschüsse, Eigenmittel, Mitfrauenbeiträge und Spenden.
*LGBT=Lesbian Gay Bisexual Transgender
Fragen: Marion Hölczl